Inspiration

Ein Interview der Klimawette mit dem Philosophen Prof. Bernward Gesang

Der oder die Einzelne kann viel tun, um CO einzusparen. Aber was sollen wir tun? Und wann haben wir „genug“ persönlich getan? Der Philosoph Prof. Bernward Gesang kommt zu einem für viele vielleicht überraschenden Ergebnis: Wir sollten v.a. spenden. Rund 4 % unseres Einkommens und 1 % unserer Zeit. Denn Spenden seien die wirkungsvollsten Maßnahme, die Einzelne zum Klimaschutz beisteuern könnten.

Wir haben genauer nachgefragt und uns mit dem an der Universität Mannheim lehrenden Philosophen über sein neustes Buch „Mit kühlem Kopf: Über den Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte“ unterhalten. 

Quelle: Gesang

Der Titel Ihres Buches „Mit kühlem Kopf“ klingt sehr berechnend und nüchtern. Trifft das auch auf Sie selbst zu? Oder gibt es Momente in Debatten über Klimaschutz, wo Sie aus der Haut fahren könnten?

Naja, den Buchtitel hat der Verlag gemacht. Aber er trifft natürlich etwas. Ich vertrete in der Ethik den Utilitarismus, der das Wohlergehen auf der Welt maximieren will. Das läuft auf eine Bilanz des Wohlergehens, auf Rechnen und damit auch Nüchternheit hinaus (die Verbindung war in der Schulzeit schon auffällig) und auch die Perspektive der Philosophie auf die Welt ist natürlich eine rationale.

Aber nichtsdestotrotz ist es natürlich zutiefst bestürzend, dass wir die Mittel zu gutem Klimaschutz in der Hand haben, dass die Kosten überschaubar sind und wir trotzdem riskieren, Milliarden Menschen sterben zu lassen, und bestenfalls hoffen können, mit einem blauen Auge davonzukommen.
Das macht mich wütend.

Von Philosophen erwarten wir Antworten darauf, was wir tun sollen. In Ihrem Buch habe ich hierzu einiges gefunden.
Passend zum Buchtitel steht da zum Beispiel: „Tue etwas, was einen möglichst großen Nutzen, also Gewinn an Wohlergehen für andere, bringt. Setze dein Budget, also deine Opferbereitschaft gezielt ein.“ Das klingt schon sehr „ökonomisch“ oder?

Richtig. Der Utilitarismus und Ökonomie haben sich stark beeinflusst. Der Grundgedanke ist natürlich, dass es schwer ist, möglichst viel Wohlergehen zu erzeugen und dass man sich daher keine Verschwendung leisten kann. Das passt in unsere Zeit, ist aber zugleich eine „anthropologische Wahrheit“.
Im Buch zeige ich auch, dass Klimaschutz in dem Ausmaß, das wir brauchen, nicht mehr durch WIN-WIN-Verhältnisse zu erzielen ist. Opfer sind unvermeidlich (auch wenn das nicht sexy klingt), es sei denn, wir reden von Menschen, die zum Beispiel den Verzicht auf eine Urlaubsreise und ein Auto etc. gar nicht als Opfer empfinden. Was ein Opfer ist, ist zwar statistisch klar, aber dennoch mit Bezug auf die Präferenzen des Individuums zu verstehen, das im Einzelfall immer anders als die Statistik empfinden kann. (Gott sei Dank!)

Sie empfehlen auch: „Tue etwas, was schon als einzelne Tat gute Folgen hat und bei dem du nicht notwendigerweise auf die Kooperation anderer angewiesen bist.“ Selbst ist der Mann, die Frau? Ist nicht Kooperation beim Klimaschutz notwendiger denn je?

Das Problem ist, dass persönlicher Verzicht für den Klimaschutz eventuell gar nichts bewirkt, wenn nicht genügend Leute ebenfalls verzichten. Und nichts zerstört die Motivation zu helfen mehr, als wenn man irgendeinen Bericht liest, der auseinandersetzt, dass alles, was man getan hat, umsonst war. Nur wenn viele Emissionen vermieden werden, lässt sich das Klima beeindrucken, meine einzelne Autofahrt registriert es nicht, nur wenn genügend Leute das Auto stehen lassen, kann das Effekte haben. Aber auf die anderen habe ich nur begrenzten Einfluss. Wenn man hinzunimmt, dass maximal 20% der Eliten der Welt vom Klimaschutz bewegt werden und dass dann vielleicht günstigstenfalls die Hälfte davon etwas tut, kann man sich alles andere als sicher sein, dass das individuelle Handeln nicht für die Katz ist.

Wenn ich hingegen intelligent spende, erreicht meine Spende immer einen armen Menschen, dem und dessen Familie sie das Leben wieder möglich macht. Der Wohlfahrtseffekt der Spende ist also jedenfalls positiv. Wenn ich das geschickt einsetze, erreiche ich auch Mehrfacheffekte, die sogar mehr Klimaschutz bewirken können, als das Umstellen des Emissionsverhaltens. Wenn ich für einen armen Regenwaldbauer spende, hilft mein Geld jedenfalls dem und er muss sein Land nicht an Konzerne verkaufen, die den Regenwald roden und damit massiv dem Klima schaden, Artenvielfalt verringern, Pandemien riskieren usw. Und wenn Sie einen CO2-Rechner zur Hand nehmen, stellen Sie fest, dass Sie mit dem gleichen Geld, mit dem sie eine Einsparung von Emissionen im privaten Leben finanziert hätten, vielmehr Kilo COsparen können, wenn Sie es spenden. Das tritt zwar auch nur ein, wenn genügend Leute spenden, aber wenn die das tun, ist das, was man erreichen kann, viel größer. Und auch wenn sie es nicht tun, war die Spende nicht umsonst, denn sie hat jemandem geholfen.

Häufige Stichwörter bei Ihnen sind die Effizienz und die Frage nach der Wirksamkeit unserer Handlungen. Die dazugehörige Regel: „Tue so viel, dass der Effekt so groß wie möglich ist, aber achte darauf, dass du deine Motivation nicht verlierst.“ In Klimaschutzdiskussionen heißt es hingegen oft als Motivationsspritze: Jeder noch so kleine Schritt ist wichtig. Wie passt das zusammen?

In einer idealen Welt, in der es keine Knappheit gibt, sollte ich alles Mögliche gegen den Klimawandel tun. Diese Welt haben wir nicht. Wenn ich zwei Euro habe, die ich für den Klimaschutz ausgeben kann, weil die Ressourcen knapp sind: Sollte ich sie da einsetzen, wo sie am meisten COsparen, oder sollte ich einen Euro spenden und einen Euro für eine neue Porzellantasse ausgeben, die Pappbecher vermeidet, was nicht sonderlich effizient ist? Haben wir, da uns das Wasser bis zum Hals steht, die Möglichkeit noch etwas zu verschwenden?

Sie schreiben: „Man sollte zur Doktrin vom großen Unterschied übergehen und die großen Herausforderungen abarbeiten.“ Das klingt nach Schwerstarbeit. Was ist damit gemeint?

Ich glaube, die Motivation für Altruismus bzw. Klimaschutz ist selber ein knappes Gut. Daher sollten wir sie gezielt einsetzen und zwar so, dass man den größtmöglichen Unterschied damit bewirkt, um die Welt besser zu machen. Denn darum geht es. Das erfordert Information, aber hat man die einmal, hält sich der Arbeitsaufwand in Grenzen.

Eine letzte Regel lautet: „Tue etwas, was die größte Emissionsverringerung bewirkt, die dir möglich ist.“ Hierzu haben Sie für den oder die Einzelne eine klare Empfehlung.

Genau, das habe ich oben z.T. schon ausgeführt. Zwar glaube ich nicht, dass die einzelnen Menschen das Klimaproblem lösen können, das geht nur gemeinsam mit der Politik, die international regeln muss, dass genügend Menschen hinreichend kooperieren. Aber da die Politik noch immer vorrangig auf bloße Symbole setzt, müssen die Einzelnen in die entstehende Lücke springen. Der Job der Politik ist zu wichtig, um liegen zu bleiben. Dabei erzeugen die Einzelnen etwa auch durch Spenden ein Signal an die Politik, dass etwas anders werden muss.
Zudem empfehle ich auch sich selbst zu informieren und zu engagieren, also aktiv Druck auf die Politik aufzubauen, wo dies eben effizient ist. Es gibt viele Maßnahmen, die den Einzelnen fast gar nichts kosten, aber die das Spiel verändern können. “Wählen gehen“ vorneweg.

Quelle: Mika Baumeister

Sie argumentieren, dass Spenden für Klimaschutzprojekte aktuell das Wirkungsvollste sind, was Einzelne zum Klimaschutz beitragen können.
Von klimabewegten Menschen hören wir hingegen oft Sätze, die das Gegenteil ausdrücken: „Ach, kann ich bei der Klimawette „nur“ spenden?“ „Werden meine persönlichen Anstrengungen nicht gezählt?“ Was würden Sie diesen Menschen antworten?

Neben dem politischen Engagement wäre Spenden das Beste. Aber wir sind einem Denken verhaftet, das besagt:

  • Ich selbst und mein Verhalten sind der Nabel der Welt, bei mir muss ich anfangen, dann wird alles gut. Das ist falsch. Es geht nicht um mich und meine erweiterte Komfortzone, sondern um den Klimaschutz.

  • Moral muss weh tun, nur wenn ich richtig leide, gehöre ich zu den Guten. Das kommt von Immanuel Kant und ist Nonsens, denn es verkennt, dass Motivation zu helfen ein knappes Gut ist, dass man schnell verlieren kann und die wenigsten Menschen sind Helden. Oft kommt in dem Zusammenhang auch der „Ablasshandel-Vorwurf“: Wenn man Spenden mit einer moralischen Verpflichtung koppelt, mehr und regelmäßig zu spenden, ist es das nicht. Mit dieser Strategie stellen wir unser Verhalten nicht durch weniger Emittieren, sondern durch mehr Spenden (und mehr politischem Motzen) um. So tragen wir mehr Last für das moralisch Richtige, während ein Ablasshandel davon ausgeht, dass es uns nur um Erleichterung für uns und eben nicht darum geht, das Richtige voranzubringen.

Und was bei Spenden immer als Totschlagargument funktioniert: Der grundlegende Zweifel, ob das Geld überhaupt „ankommt“. Wie oft hören Sie dieses Argument und wie begegnen Sie ihm?

Man kann nie definitiv ausschließen, dass sowas passiert, aber es gibt mittlerweile Zertifizierungen von Hilfsorganisationen, die verlässlich sind. Allerdings könnte es theoretisch sein, dass die Spende für den Regenwald zwar Armut verringert, aber der Regenwald doch beizeiten abbrennt, was weniger erfreulich wäre. Erfahrungsgemäß passiert das zwar nur sehr selten, wenn man die Waldbesitzer auf seine Seite bringt, aber es ist möglich. Ich empfehle daher, ein Portfolio bei den Spenden. Sichere Optionen wie Solaröfen und riskantere Optionen gehören gemeinsam ins Boot. Aber wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, muss man auch etwas riskieren, sonst stirbt man den unerfreulichen Erstickungstod.

Beim persönlichen Einsparverhalten gibt es absolute Grenzen: Ich kann nicht mehr als meinen eigenen CO2-Fußabdruck einsparen. Bei Spenden für Klimaschutzprojekte gibt es hingegen nach oben keine Grenzen. Mit der freiwilligen Kompensation hat man eine „Regel“, die die Spendenhöhe am persönlichen Fußabdruck orientiert. Sie schlagen hingegen vor, 5% des Einkommens zu spenden. Wie kommen Sie auf diesen Wert?

Was verlangt die Moral von uns? Ich habe keine allgemeine Antwort auf dieses gigantische Problem. Ich gehe es pragmatisch an: Westliche Durchschnittsverdiener gehören zum reichsten „einen Prozent“ der Weltbevölkerung. Wenn wir auf dieser Insel des Reichtums leben und vor den Küsten Menschen ertrinken, dann können wir nur dann zu den guten Menschen zählen, wenn wir uns mindestens im unteren Prozentbereich unserer zeitlichen und finanziellen Möglichkeiten engagieren. In jedem anderen Fall müssen wir uns eingestehen, dass uns die Not der anderen schlicht egal ist und wir nicht zu den guten Menschen gehören können. Ein solches Engagement kann keine Überforderung darstellen. Wenn jeder Durchschnittsverdiener sich bemühen würde, z.B. 4 % seines Einkommens und 1% seiner Zeit (für politisches Engagement) beizusteuern, dann könnte viele globale Probleme gelöst werden. Die dabei anfallenden Geldsummen würden sich mindestens auf einen dreistelligen Milliardenbetrag belaufen.

Jenseits aller Kalkulationen: Bei welcher persönlicher CO2-Sparmaßnahme waren Sie stolz auf sich?

Am stolzesten war ich, als die Organisation „Fairventures Worldwide“ berichtete, dass die Zahl ihrer Dauerspender sich nach Veröffentlichung meines Buches verdreifacht habe. 

Sie schreiben: „Fantasy sollte die große Schule unserer Zeit sein“.
Welchen Fantasy-Roman haben Sie zuletzt gelesen? Was ist ihr Lieblingsfantasy-Roman? 

Im Urlaub habe ich den letzten gelesen, „Trolle und Elfen“ oder so, aber da die Geschichte in der Tat häufig ähnlich ist, ist das auch nicht so wichtig. Aber ich verschlinge sie immer wieder. Generell bin ich sowohl Harry Potter, Herr der Ringe und Game of Thrones-Fan. Dessen Verfilmung hat mich einige Nächte um den Schlaf gebracht. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Wir haben den Vorschlag aufgegriffen und stürzen uns mit der Klimawette in eine „epische Schlacht zwischen Gut und Böse“: Das CO2-Battle ist gestartet. Mache mit und werde Klimaheld*in!

Eure Andrea, Michael und Pia

Für alle, die bisher noch nicht so viel über die Klimawette wissen: Wir möchten bis zu den nächsten Klimaverhandlungen in Glasgow im Herbst diesen Jahres 1 Million Menschen gewinnen, die mit uns ihre Stimme für besseren Klimaschutz erheben. Mit einer real eingesparten Tonne CO2 (im Wert von 25 Euro) bist Du dabei! Denn wir wollen zeigen: Klimaschutz ist uns wirklich wichtig! Ob aus der eignen moralischen Handlung heraus, auf den Straßen oder eben in Glasgow. Macht mit und feiert mit uns ein gutes klimafreundliches Leben!