Inspiration

Interview mit Michael Adler

 

"Nachhaltigkeit muss die Party der Stadt sein, die ausverkauft ist"

- Ed Gillespie

 

Lieber Michael, als wir über die ersten Interviewpartner für unseren Klimawette-Blog sprachen, warst Du direkt unser aller Favorit. Michael B. gab das ultimative Argument: „Weil Du schon so lange und authentisch szeneneinschlägig bist". Deshalb und aus vielen anderen Gründen freut es uns natürlich, mit Tippingpoints gemeinsame Sache für die Klimawette zu machen.

Erzählst Du uns ein wenig von Deinem Weg zum Klimaschutz und zu Tippingpoints?

1989 habe ich meinen ersten Artikel zum Klima geschrieben, „Der Himmel als Müllkippe“ im SPD-Magazin „Vorwärts“. Damals sprach man noch von der Klimakatastrophe und das Ozonloch war noch ein Thema. Aber schon in diesem Artikel war vom 1,5 Grad Ziel die Rede und von der Dringlichkeit des Handelns. Und von da an hat mich das Thema nicht mehr losgelassen. Ich fand meinen Weg von der SPD, die aus meiner Sicht, die Klimakrise bis heute in ihrer existentiellen Dimension nicht begriffen hat, zur NGO-Szene. Ich war über 20 Jahre Chefredakteur der fairkehr des Mitglieder-Magazins des Verkehrsclubs Deutschland (VCD). Ich halte deren Bewusstseinsarbeit über Jahrzehnte nach wie vor für sehr wichtig. Aber wir blieben eben doch weitgehend in unserer Bubble. Daher suchte ich Abkürzungen, andere Kommunikationspfade, Wege, mehr Menschen, letztlich „die Mehrheit“ zu erreichen. Das war der Anlass meine Agentur „tippingpoints“ zu gründen. Der Name ist wohlüberlegt. Wir suchen die positive Rückkopplung. Wir wollen die guten Kräfte mobilisieren, damit Prozesse, die schon seit langem in die falsche Richtung laufen, mit Mitteln unserer Kommunikation kippen hin zur Dekarbonisierung, zum Menschenschutz, indem wir eine Klimaerhitzung noch verhindern.

Auf welche Weise setzt Du Dich weiter für den Klimaschutz ein? Wo findest Du Dich noch ausbaufähig? Was sind Deine Topp-Tipps mit Hebelwirkung?

Puh, oute Dich, lieber Michael! Ich tue, was sehr viele tun können. Ich fahre im Alltag Fahrrad und Zug. Wir haben zu Hause und bei tippingpoints Öko-Strom, Wir leben nicht vegetarisch oder vegan, aber sehr Fleischarm und kaufen 90% bio ein. Das wenige Geld, das ich angelegt habe, habe ich in grünen Fonds oder Solar- und Windenergieprojekten investiert. Meine Familie besitzt noch ein Auto, einen Hybrid immerhin. Aber das müsste noch weg. Und ich kann meine Flüge in den letzten 10 Jahren sicher an meinen beiden Händen abzählen, zwei davon private Urlaubsreisen, der Rest beruflich. Aber das geht natürlich nicht. Fliegen ist der dickste Hund im Klimagas Footprint.

Was ich an Dir mag ist, ist die Mischung aus Werten, Authentizität und Begeisterungsfähigkeit. Du weißt aber auch, wie man ansteckt und um die Macht der Worte. Ich hatte ja schon einmal das Vergnügen, Dich rund um das Thema nachhaltige Mobilität zu interviewen, und Du erzähltest mir von der Wichtigkeit positiven Storytellings für Nachhaltigkeit. Ist es das, was Du, bzw. Ihr mit Tippingpoints macht, positive PR für den Klimaschutz? Wieso sind Geschichten Deines Erachtens so wichtig?

Weil wir uns Geschichten merken können. Und wir können sie uns merken, weil sie uns emotional berühren. Die Menschen haben sich immer Geschichten erzählt. Die Bibel, der Koran, die Odyssee, Grimms Märchen alles Geschichtensammlungen. Stories in Instagram, Memes, Youtube-Spots sind eine moderne Ausprägung davon. Menschen handeln nur wenn sie ein Ziel vor Augen haben, für das sich Anstrengung lohnt. Deshalb sind gute Geschichten ein Trigger für gutes Handeln. Maren Urner, eine junge Neurowissenschaftlerin hat ein Buch zur Klimakrise geschrieben. Titel: „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“. Auch sie als Hirnforscherin sagt, du brauchst das verheißene Land, das motivierende Ziel und der Weg sollte möglichst einfach beschrieben werden. Damit die Vorstellung nicht abschreckt. Wir sollten ihn gemeinsam mit anderen gehen, weil wir auch dieses Horden-Gen in uns haben. Alleine gehen, war in früheren Zeiten lebensgefährlich. Und auf dem Weg sollten wir gelegentlich feiern und Spaß haben. Ed Gillespie, ein britischer Zukunftsforscher, hat es so formuliert: Nachhaltigkeit muss die Party in der Stadt sein, die ausverkauft ist.

Ok, und wenn du so willst, sind wir bei tippingpoints die Organisatoren der Party. Wir bestellen die Musik, das Essen, die Drinks und die coolen Gäste. Und wir sind leidenschaftliche Geschichtenerzähler.

Quelle: Astrid Greif

Das klingt doch direkt ganz cosy und heimelig. Schreckensnachrichten off – und ab in das Wohlfühlen und Streben nach einer besseren Welt. Um nochmals Michael Bs Worte aufzugreifen: Du bist schon so lange für den Klimaschutz unterwegs. Wie schaffst Du bei all diesen Schreckens-Nachrichten bei der Stange zu bleiben? Siehst Du Dich als Optimisten, Zwecks-Pessimisten, Realisten? Bzw. was hilft Dir, die nötige Hoffnung und Motivation herzunehmen, einfach weiterzumachen?
 

Ich bin zuversichtlich und ich liebe Menschen. Matthias Horx, der Zukunftsforscher, hat sich in der Corona-Krise dazu geäußert. Optimismus ist oberflächlich. Du guckst in den Himmel, pfeifst vor dich hin und sagst, es wird schon alles gut. Zuversicht allerdings erkennt die Größe der Aufgabe und schätzt den Weg realistisch ein und kommt trotzdem zu dem Schluss, dass die Lösung möglich ist. Die Trumps, Bolsonaros und Orbans dieser Zeit lassen mich natürlich auch zweifeln. Mein Hirn sagt, wir haben keine Chance. Aber es gibt eben auch diese wahnsinnig positiven Veränderungen grade in den letzten 2 Jahren: FridaysForFuture, #hambibleibt oder #rettetdiebienen.

Es ist einiges in Bewegung gekommen und die etablierte Politik, Unternehmen und viele Bürgerinnen und Bürger haben gelernt, dass es nach Corona mit einem einfachen „back to normal“ nicht getan ist, weil das normal falsch war. Wir sehen den Zusammenhang zwischen Vernichtung der Natur und dem Überspringen von Viren aus der Tierwelt auf den Menschen, mit all seinen Bedrohungen, wir sehen den Fleischskandal bei Tönnies und wissen, das ist nicht ok. Nicht für die Tiere und nicht für die ArbeiterInnen. Wir sehen die Hitze in der Nordpolarregion, den schmelzenden Permafrost in Sibirien und die in unmittelbarer Folge heißesten Jahre seit Aufzeichnungsbeginn.

Wir haben alle Mittel verfügbar, die uns zumindest ein gutes Stück auf dem richtigen Weg vorwärts bringen würden. Wir müssen fast nichts neues mehr erfinden. Und genau das macht mich zuversichtlich. Wir können es schaffen und deshalb tue ich alles, was in meiner Macht steht, dass wir es auch schaffen.

Wir machen das jetzt einfach.

Oh ja, wir machen das jetzt einfach. Das bringt mich zu unserer Klimawette, bzw. zu dem Thema der individuellen UND systemischen Verantwortung. Als wir zur Klimawette telefonierten, sagtest Du, dass Du „Pickel bekommst“, wenn individuelle Verantwortung in der Klimaschutz-Frage zu sehr in den Vordergrund gerückt wird. Gleichzeitig geht es natürlich nicht, wenn man als Einzelperson inaktiv ist. Wie können wir in einer Gesellschaft leben, in der Politik und Individuum, ja, nach Möglichkeit sich die meisten Staaten unserer Welt, in der Verantwortung sehen, gemeinsam für den Klimaschutz einzustehen? Warum ist, Deines Erachtens, Klimaschutz politisch meistens noch eher nicht so sexy bzw. warum wird er von anderen, wirtschaftlichen Interessen so verdrängt? Und wie kann man das ändern – und überhaupt authentischer umgehen und kommunizieren? Ich finde, uns wird oft nicht eindringlich genug geschildert, dass es a) brennt, und b) wir wirklich etwas tun können. Was können wir als Einzelpersonen machen, um die Politik mehr und effektiver in die Verantwortung zu nehmen? Petitionen, Konsum, Streiks, von allem etwas...?

Ich mag diese Frage nach dem individuellen Verhalten eigentlich nicht. Weil wir einzelne es nicht richten können. Deshalb ist es auch vollkommen balla, wenn Greta geblamed wird, weil sie irgendeine Winzigkeit mal nicht ganz richtig macht. Wir brauchen Verhältnisänderung, damit Verhaltensänderung einfacher geht. Ich will eine Bundesregierung, die viel schneller aus der Kohle aussteigt und nur noch Naturenergie erzeugt, dann musst du auch nicht mehr zum Ökostromanbieter wechseln. Ich möchte eine komplett ökologische Landwirtschaft, und ein Mobilitätsangebot, das das eigene Auto und auf europäischen Distanzen auch das Fliegen überflüssig macht. Aber die Verhältnissänderung kann ich als einzelner nicht herbeiführen. Dafür brauchen wir die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen EntscheiderInnen. Hier brauchen wir einen Mindshift, einen disruptiven Politikwechsel und in der Folge auch ein verändertes Wirtschaftssystem, das nicht den Shareholder Value ins Zentrum stellt.

Warum ist Klimaschutz nicht sexy? Und was müssen wir tun, damit er es wird? Vielleicht müssen wir uns hier kulturell einfach weiter entwickeln. Ressourcenverbrauch ist schon sehr männlich und weiß. So lange wir starke weiße Männer, die große Maschinen bauen, bedienen oder fahren als besonders toll feiern, werden wir nichts ändern. Die brauchen dann große Autos, Private Jets, Riesenhäuser und Riesensteaks, um sich wichtig zu fühlen. Das ist schon noch Steinzeitverhalten, nur mit anderen Mitteln. Aber ich denke, Rennrad zeugt von mehr Fitness als Sportwagen und eine empathische Haltung zur Welt, zu Tieren und Menschen, überhaupt eine Haltung zu haben, ist doch attraktiv und sexy.

Oh ja, sehr attraktiv und sexy!

Quelle: Rhianon Lassila

Und Leonie Bremer Sprecherin von FFF sagte auf der RadKomm: ja, es ist anstrengend ehrenamtlich Riesendemos zu organisieren. Aber wir feiern hinterher auch ziemlich gute Partys. Es ist ein gutes Gefühl, etwas gemeinsam auf die Beine zu stellen.

Ich glaube wir müssen dranbleiben. Gretas „How dare you“ war ikonografisch. Wir müssen immer wieder sagen, dass das Haus brennt. Aber wir dürfen nicht bei dieser Katastrophenbotschaft stehen bleiben. Wir brauchen, sorry für den abgelutschten Begriff, ein anderes Narrativ, eine andere Story. Eine Gewinnerstory. Wir sollten ein anderes Weltbild entwickeln: gerecht, natürlich, smart, erfolgreich, solidarisch, durchaus technisch, aber eben nicht als Selbstzweck, nachhaltig, intelligent.

Die Veränderungen stellen sich ja schon ein. Deshalb bin ich zuversichtlich. Aber wir dürfen das Beharrungsvermögen und die Kumpanei der starken, weißen Männer nicht unterschätzen. Sie haben Ressourcen, sie sind mächtig und sie werden ihren Protz-Lebensstil verteidigen.

Ich glaube, da ist sehr viel dran. Als ich aufwuchs war Second Hand etwas für „ungepflegte“ „arme Leute“, das hat sich zumindest in jüngeren Generationen, zu denen ich uns jetzt frech auch zähle, verändert. Es ist sogar richtig cool geworden. Das Narrativ ändert sich langsam, allerdings nicht überall gleich und auch nicht schnell genug. Und leider sind die legislativen Prozesse wirklich noch sehr langsam und absolut nicht an die Brisanz der Situation angepasst. Doch dann kam Corona. Und zeigte, dass entschlossenes Handeln durch die Politik in extrem kurzer Zeit möglich ist, dass menschliche Gesundheit und Leben priorisiert und wirtschaftliche Interessen zurückgestellt werden können. Können wir aus dem Umgang mit der Corona-Krise Lehren für den Klimaschutz ziehen?

Meine lessons learned: Listen to the science. Das unterscheidet uns vom Mittelalter. Wir wissen einfach viel mehr. Wir müssen dieses Wissen dann aber auch wirksam machen und nicht wie Trump Desinfektionsmittel spritzen wollen. Deshalb zweite lesson: politics matter. Politik ist an Werte, an Menschenrechte, an das Recht, die Verfassung gebunden. Jedenfalls in demokratischen Systemen. Ich glaube, bei aller Anstrengung, die das bedeutet, auch an die demokratische Lösung. Der gute Fürst hat bei Macchiavelli schon mehr schlecht als recht funktioniert.

Wir müssen mit Unsicherheit leben. Kein ernstzunehmender Wissenschaftler verkündet absolute Sicherheit oder Wahrheit. Echte Wissenschaft stellt sich immer wieder selbst in Frage, um besser zu werden. Und daher ist Wissenschaft im Kern divers. Wir haben gelernt, das nationalistische oder gar rassistische Abgrenzung das Virus nicht beeindruckt haben. Wir werden das ganze Wissen unserer Zeit brauchen, um die Pandemie aber vor allem auch die noch komplexere Klimaerhitzung zu stoppen. Es gibt keine chinesische, amerikanische oder deutsche Lösung. Die Menschheit ist zur Zusammenarbeit verdammt. Wenn wir das lernen und dann mit etwas Glück die Corona Pandemie in den Griff kriegen, dann können die Lektionen uns beim Menschenschutz gegen die Klimakrise sehr helfen. 

Spoiler Alert: Nix-da dröger Verzicht. Um Deine Mobilitäts-Vision habe ich Dich ja schon gebeten, aber jetzt darf ich sogar noch weiter gehen. Ok, nehmen wir nochmals unseren ganzen Feen-Staub zusammen und fragen: Wie kann so eine nachhaltige Welt aussehen, die das Wohl des Menschen und der Umwelt im Fokus hat?

Ich versuch’s mal mit Gegensatzpaaren: Inklusiv statt egoistisch, friedlich statt aggressiv, leise statt laut, klein statt groß, empathisch statt narzisstisch, holistisch statt gespalten, nachhaltig, statt verbrauchend, sozial statt Recht des Stärkeren. Im Grunde bist du da fast wieder bei universellen Werten, die in all unseren alten Erzählungen schon die Sehnsucht der Menschen waren.

Was findest Du an der Klimawette toll und warum sollten ALLE LEUTE (hypnotisierender Blick von mir an dieser Stelle) an ihr teilnehmen? Hol gerne aus, Michael, ich finde uns auch toll. 

Weil die Klimawette all das, was wir grade besprochen haben, vereint.

Die Klimawette verändert Verhalten. Sie motiviert dich spielerisch eine Routine zu verändern, eine individuelle Verhaltensänderung auszuprobieren, die deinen persönlichen footprint verkleinert. Und ihr macht das mit Spaß und ohne Zeigefinger. Mach’s einfach mal. Werber sagen zu diesem Vorgehen: do, feel, learn.

Die Klimawette ist aber auch politisch. Mit den 25 Euro zur Kompensation einer Tonne CO2 setzt ihr auch den großen institutionellen Rahmen. Ihr zeigt, dass Menschen bereit sind, Geld zu zahlen, um die Klimaerhitzung zu mildern. Ihr wollt damit ein Zeichen für die verschobene COP in Glasgow nächstes Jahr im Juni setzen. Tausende, vielleicht eine Million Tonnen von einzelnen Menschen, aber eben auch einer großen community gespart.

Und die Klimawette baut eine Gruppe auf. Der Mensch fühlt sich besser, wenn er oder sie etwas mit anderen gemeinsam tut. Deshalb hat der Punkt, dass man jeweils noch zwei Menschen wirbt, die auch mitmachen, eben auch die soziale Wirkung. Du bist nicht der/die einsame Irre, der/die etwas tut, dein Nachbar, deine Freundin, deine Tante, dein Opa tun es eben auch. And this makes you feel better.

Und last, but not least, die Klimawette wird von Menschen gemacht, die absolut glaubwürdig sind. Michael Bilharz, Wissenschaftler beim Umweltbundesamt, Sebastian Metzger von CO2-online, Santa, du und Deine Partnerin bei FindingSustania, Anna Meyer, ihr alle steht für totale Seriosität bei diesem Thema. Ich vertraue euch blind.

Die Klimawette. Ich mach’s jetzt einfach.

Also, Michael, wäre ich nicht schon dabei, würde ich jetzt direkt mitmachen wollen. Danke für die verbalen Blumen. A bientot, dear! Und ja, wir machen es jetzt einfach!