Inspiration

Die Initiative GermanZero - Im Gespräch mit Evelyn Bodenmeier

Stellen wir uns eine Welt vor, in der mündige, engagierte Bürgerinnen und Bürger zusammen mit Expertinnen und Experten die Politik von einem gemeinsamen, messbaren Ziel überzeugen: die Klimaneutralität Deutschlands innerhalb der nächsten 15 Jahre. Und dafür erarbeiten sie einen Plan. Notwendiger Maßnahmenbeginn: innerhalb der ersten 100 Tage der neuen Bundesregierung. Klingt alles sehr konkret und durchdacht. Ist es auch! Zwischen GermanZero und die Klimawette passt kein Blatt. Wir finden es einfach großartig, mit welcher Leidenschaft, mit welchen teilweise sehr innovativen Methoden und vor allem demokratischen Instrumenten genau das Ziel verfolgt wird, das uns allen am Herzen liegt: eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad.  

Liebe Evelyn, wir freuen uns sehr, dass wir als Kooperationspartner gemeinsam für besseren Klimaschutz stehen. Für diejenigen, die (noch) nicht wissen, was GermanZero vorhat: Erzählst Du uns kurz, wie es zu Eurer Gründung kam und welche Ziele Ihr verfolgt?

Die Initiative GermanZero wurde von Claas Helmke und Heinrich Strößenreuther angeschoben, Letzterer laut taz „Deutschlands erfolgreichster Verkehrslobbyist“. Er initiierte zuvor den Volksentscheid Fahrrad in Berlin und hat damit Deutschlands erstes Radverkehrs- und Mobilitätsgesetz mit auf den Weg gebracht. Das war der Startschuss und das Vorbild für über 40 Radentscheide deutschlandweit. Damit hat er gezeigt, wie eine Verkehrswende aus der Mitte der Gesellschaft heraus gelingen kann.

Jetzt greifen wir diese Idee auf und haben uns ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt – ein Klimagesetzespaket: für uns, unsere Kinder und Enkel. Wir von GermanZero wollen einen Lösungsweg erarbeiten, wie Deutschland innerhalb der nächsten 15 Jahre klimaneutral werden kann - schnell, wirksam und sozial gerecht. Wir wollen so der Politik helfen, ihr Versprechen einzulösen, das die Bundesregierung 2015 beim UN-Klimagipfel in Paris bindend zugesagt hat: Die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Für dieses Ziel haben wir im ersten Schritt gemeinsam mit Expert*innen einen Klimaplan erstellt, unsere Basis für das Gesetzespaket. Daraus erarbeiten wir im ständigen Austausch mit Jurist*innen und Expert*innen einen sektorenübergreifenden Gesetzesentwurf. Zusätzlich unterstützen wir Klimaentscheide auf kommunaler Ebene. Tausende Bürger*innen setzen sich so dafür ein, dass ihre Stadt, ihr Kreis, ihre Gemeinde bis spätestens 2035 klimaneutral wird. So entsteht aus der Mitte der Gesellschaft heraus eine gemeinsame Bewegung hin zur Klimaneutralität. Das übergeordnete Ziel ist es, die Politiker*innen des neu gewählten Bundestages 2022 davon zu überzeugen, das Gesetzespaket in den Bundestag einzubringen.

Quelle: GermanZero

Und wo steht Ihr ganz aktuell?

Im Jahr 2020 haben wir notwendige Änderungen und Klimaschutzmaßnahmen mit führenden Institutionen der Klimawissenschaft wie dem Wuppertal-Institut zusammengetragen – zuerst in unserem Klimaplan, anschließend in Expert*innenrunden zu den einzelnen Sektoren. Diese Maßnahmen werden jetzt von Jurist*innen zu Gesetzestexten ausgearbeitet. Alle Schritte werden transparent nachvollziehbar sein.

Parallel dazu machen wir deutschlandweite Kampagnenarbeit und mobilisieren Bürger*innen, die sich zu Regionalgruppen zusammentun und dezentral Klimaentscheide durchsetzen. Sobald unser Kernprodukt, das Gesetzespaket steht, gehen wir damit in mehreren Schritten auf die Politiker*innen zu: bundesweit, regional und kommunal.

Wir wollen, dass unser Gesetzespaket in den ersten hundert Tagen der neuen Bundesregierung durch die Abstimmung in Bundestag und Bundesrat gebracht wird und so seine Wirksamkeit für Deutschland entfalten kann. Das ist der letztmögliche Zeitpunkt für eine gesetzliche Weichenstellung, die es möglich macht, das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen.

Das ist ja spannend! Was genau verbirgt sich denn hinter dem bundesweiten Klimaplan? Teil Eures Ansatzes sind auch Klimaentscheide und Politiker*innengespräche. Wie können wir uns das vorstellen?

Gemeinsam mit führenden Expert*innen haben wir einen umfassenden und konkreten Klimaplan vorgelegt, der Deutschland bis 2035 klimaneutral machen kann. Für jeden einzelnen der emissionsstarken Sektoren - Energie, Gebäude, Verkehr, Industrie und Landwirtschaft - haben wir in monatelangen Recherchen ein wirksames Bündel an Maßnahmen zusammengetragen. Zweifellos sind außerdem Veränderungen in unserer aller  Lebensweise notwendig. Doch es gibt eine gute Nachricht: Für ein klimaneutrales Deutschland ist es noch nicht zu spät.

Zu den Klimaentscheiden: Allein im Jahr 2020 haben wir 20 Klimaentscheide in ganz Deutschland angestoßen. Das kann man sich in etwa so vorstellen: In einer Stadt tut sich eine bunte Gruppe von Menschen zusammen, egal ob Manager*innen, Auszubildende, Studierende oder Rentner*innen. Sie eint das Ziel, ihre Stadt mithilfe eines Bürgerentscheids zum Thema Klima zu verpflichten, bis 2035 klimaneutral zu werden. Dafür müssen sie ein bestimmtes Quorum erreichen, also eine kommunal festgelegte Anzahl an Unterschriften sammeln. Dann muss das Begehren von der kommunalen Regierung geprüft werden. Entweder sie nimmt es direkt an oder es gibt einen Bürgerentscheid, also eine Abstimmung in der Kommune darüber. Von den 20 bisher gestarteten Klimaentscheiden, waren mit Berlin, Münster und Essen bereits drei Klimaentscheide erfolgreich. Gerade freuen wir uns über neu gegründete Klimaentscheid-Gruppen wie beispielsweise in Leipzig oder Stuttgart.

Ein weiterer wichtiger Schritt sind die Gespräche mit Politiker*innen. Dazu gründen wir deutschlandweit in den Kommunen weitere Lokalgruppen, die mit dem Know-How, das wir bisher erarbeitet haben, einen steten und persönlichen Kontakt zu ihren Abgeordneten vor Ort aufbauen, um sie für unseren Gesetzesentwurf zu gewinnen. Gleichzeitig bauen wir Netzwerke mit anderen Initiativen auf. So kann es in drei Schritten gelingen, eine breite Aufmerksamkeit für GermanZero und die Klimakrise zu generieren.

Ihr plant ja quasi eine revolutionäre und transparente Form der Klimagesetzesfindung. Wie glaubt Ihr beeinflusst Euer Vorgehen die allgegenwärtige Form der Demokratie in Deutschland und darüber hinaus? Gibt es dafür Beispiele in anderen Ländern oder was hat Euch inspiriert?

Die Wiege der Demokratie liegt in Griechenland, genauer gesagt wurde die Idee der Demokratie in Athen geboren. Denken wir an deutsche Städte, welche die Demokratie prägten, so kommen wir beispielsweise an Weimar nicht vorbei. Aktuell sind es Städte wie New York, Paris, Buenos Aires und Madrid, die wichtige Impulse für die Digitalisierung der Demokratie geben. Diese Städte verbindet das Ziel, ihr Miteinander durch moderne Technologien offener, transparenter und partizipativer zu gestalten. 

Quelle: Leon Seibert

Sie alle benutzen seit kurzem die UN-zertifizierte Demokratie-Beteiligungssoftware Consul. Über diese Open-Source-Software beleben sie den urbanen, digitalen Diskurs und ermächtigen ihre Bürgerinnen und Bürger, die Geschicke des kommunalen Miteinanders selbst mitzugestalten.

Was auf der kommunalen Ebene also schon mehrfach erfolgreich erprobt wurde, wollen wir jetzt erstmalig auf Bundesebene wagen. Das ist ambitioniert, denn es ist Neuland. Wir sind jedoch überzeugt, dass eine Einigung auf eine klimaneutrale Zukunft, nur gemeinsam gefunden werden kann. Wir wollen ein Gesetz aus der Mitte der Gesellschaft heraus erarbeiten, das den gegenwärtigen und zukünftigen Bürger*innen ihr Recht auf eine nachhaltige und klimaneutrale Wirtschafts- und Lebensweise garantiert.

Mit unserem digitalen Beteiligungsverfahren „Zerolab“, wollen wir eine maximal breite öffentliche Debatte ermöglichen. Hier können nicht nur wissenschaftliche Expert*innen und Jurist*innen, sondern auch jede Bürgerin und jeder Bürger kritische Argumente, Vorschläge, Impulse und fachliche Hinweise austauschen und sich so aktiv in die Gesetzesentwicklung einbringen.

Wenn wir jetzt 10 Jahre in die Zukunft schauen und Ihr Euch zwei Szenarien vorstellen müsst. Wo seht Ihr Deutschland, wenn der Klimaplan erfolgreich implementiert wurde? Falls die Klimapolitik so bleibt wie sie ist, was wäre dann die Konsequenz?

Begeben wir uns auf eine kleine Reise in das Jahr 2035, wenn der Klimaplan von GermanZero umgesetzt sein wird. Besuchen wir gemeinsam Keyenberg, einen kleinen Ort im Rheinland (Kreis Heinsberg) und eine große Stadt, zum Beispiel Berlin.

In Keyenberg werden Schilder stehen, die an den damaligen (aktuellen) Protest der mutigen Dorfbewohner*innen erinnern. Zu Hunderten haben sie sich dem Willen von ehemaligen großen Energiefirmen entgegengestellt und nicht auf eine Umsiedelung eingelassen. Sie haben mit dafür gesorgt, dass ihre Heimat und ihre Wurzeln nicht durch Braunkohleabbau zerstört wurden. Es wird in Keyenberg Führungen zu den nahe gelegenen Seen geben. Hier erfahren die Leute, wie sich die Region mit durchdachtem Strukturwandel von einem Braunkohleabbaugebiet, zu einem Naherholungsgebiet gewandelt hat.

Auch ein Ausflug nach Berlin oder in eine andere Großstadt ist lohnenswert. Die Kultur in der Stadt wird eine andere sein. Sie wird geprägt sein von viel mehr Verbundenheit und Zusammenhalt sowie guter Nachbarschaft unter den Stadtbewohnern. 2035 wird dort, wo einst Autos hupend in langen Schlangen vor Ampeln standen und den Takt der Stadt diktiert haben, Ruhe einkehren. Die riesigen Blechwüsten, auch Parkflächen genannt, werden zu neuem Stadtgebiet. Hier ist Platz für die Begegnung von Menschen, in Gemeinschaftsgärten, Kinderspielplätzen oder auf Grünflächen. Ein best-practice Beispiel ist Amsterdam. In der geheimen Fahrradhauptstadt der Welt sind bereits 10.000 Parkplätze Grünflächen und Radwegen gewichen. Die Straßen bieten im Jahr 2035 in Deutschland ausreichend Platz für komfortable und sichere Radwege, für neue U- und S-Bahn-Strecken und Elektro-Sammeltaxen bringen die Menschen zum Ziel.

Auf deine Frage, was passiert, wenn es bei dem gegenwertigen Ambitionsniveau der deutschen Klimapolitik bleibt, kann ich kurz und knackig antworten: Das darf nicht passieren. Ich denke, diese Option ist keine und wir tun alles dafür, dass es soweit nicht kommt.

Quelle: GermanZero

Es gibt bereits in allen energieintensiven Sektoren Möglichkeiten der Umgestaltung, um den Anforderungen an die maximale Erderwärmung von 1,5 Grad gerecht zu werden. Beispiele sind neue Technologien für Erdkabel, um Gleichstrom zu transportieren, verbesserte Windräder, die bereits bei weniger Wind mehr Strom erzeugen, und große ungenutzte Offshore-Flächen, die es zu erschließen gilt. Die Batterieerzeugung macht riesige Fortschritte und der Ressourcen- und CO2-Verbrauch bei E-Autos sinkt ebenso wie die Kosten! Gleichsam steigt deren gesellschaftliche Akzeptanz. In Österreich, Schweden und Deutschland werden bereits die ersten kohlefreien Stahl- und Walzwerke geplant bzw. gebaut. Die Chemieindustrie hat konkrete Planungen vorgelegt, wie sie ihre Produktion künftig treibhausgasneutral gestalten kann. Außerdem gibt es bereits neue Anbau- und Düngemethoden für die Landwirtschaft, um Stickstoffdünger einzusparen und so die Versauerung der Böden zu vermeiden.

Was uns Hoffnung gibt ist, dass sich Menschen in vielen Bereichen der Gesellschaft proaktiv engagieren, um gemeinsam der Klimakrise entgegenzuwirken: im Bereich der Gesundheit, der Kinderbetreuung, in Sport, Kunst, Verwaltung und vielen anderen Bereichen sehen wir diese Menschen, die anpacken und etwas verändern wollen. Wir wollen jede*n Einzelne*n ermutigen, sich im eigenen Umfeld zu engagieren und sich mit Können und Wissen einzubringen. 

Wie unterstützt Euch die Klimawette in Eurem politischen Vorhaben?

Die Klimawette unterstützt uns, in dem durch Euch, liebe Andrea, viele Menschen gerade entdecken, dass sie niedrigschwellig etwas tun können. Dass sie schon durch kleine Aktionen viel verändern können: Was landet in meinem Einkaufskorb, wie steht es um meinen Stromverbrauch und wie kann ich mit anderen zusammen große Aufgaben wie Klimaentscheide angehen. Jede positive Änderung unseres Verhaltens, jeden Tag, verringert unseren persönlichen CO2-Fußabdruck. Und das CO2, was sich durch das eigene Verhalten nicht vermeiden lässt, kann ich kompensieren, in weniger als fünf Minuten. Für mich selbst war diese Erkenntnis eine tolle Erfahrung, zu der ich jede*n gern einladen möchte.

Wie könnten unsere Leser*innen Euch unterstützen?

Schaut gern bei Social Media oder auf der Website von GermanZero vorbei. Und wenn Euch gefällt, was wir vorhaben, meldet Euch gern bei uns. Ein schöner persönlicher Einstieg ist es, gemeinsam etwas als Gruppe zu bewegen. Daher will ich Euch herzlich dazu einladen, Euch in einer unseren vielen Lokalgruppen zu engagieren, im Rechercheteam für das Gesetz mitzuarbeiten oder den Start eines weiteren Klimaentscheids zu ermöglichen. Wir unterstützen Euch auf dem gesamten Weg und statten Euch mit dem nötigen Wissen aus.

Was würdet Ihr unseren Leser*innen gerne mit auf den Weg geben?

Werdet aktiv für eine klimapositive Welt für Euch, Eure Familien und Eure Enkel. In Eurem Alltag, auf der Arbeit, in Eurer Stadt. Macht es wie Ihr wollt, lest, redet mit Freunden, tauscht Euch aus und vernetzt Euch. Denn wir wünschen uns, mit Euch zusammen in eine klimaneutrale Zukunft zu starten. Was uns alle angeht, kann nur von uns allen gemeinsam gelöst werden. Und die Lösung der Klimakrise duldet keinen Aufschub!

Liebe Evelyn, dem haben wir wirklich nichts hinzuzufügen. Es gibt so viele Möglichkeiten einen Beitrag zu leisten. Werdet Teilnehmer*in der Klimawette und schaut Euch bei GermanZero um! Wir sehen ein ganzes Universum an Möglichkeiten vor uns. Es ist einfach für jede*n etwas dabei. Und besonders das Zerolab werden wir uns nun noch einmal genauer anschauen. 

Wir freuen uns auf viele weitere gemeinsame Aktivitäten!

Andrea, Anna, Dominika und das gesamte Team der Klimawette